In jedem Jahr gibt es ein besonderes Bibelwort, dass vor allem zu Beginn des neuen Jahres in kirchlichen Räumen besondere Bedeutung hat: die Jahreslosung. Leider nur verliert sich diese Losung meistens in den folgenden Wochen. Zu viel Neues und anderes bestimmt schnell die Kalender. Wer erinnert sich noch an die Jahreslosung 2020? Und überhaupt: wer will sich überhaupt noch an 2020 erinnern. Es ist weg und viele konnten diesen Jahreswechsel kaum erwarten.
So einfach ist es aber nicht. Das große Thema des vergangenen Jahres begleitet uns genauso auch ins Neue. Und viele Erfahrungen des vergangenen Jahres ragen wie schwere Äste eines großen Baumes in das neue.
Die Jahreslosung 2020: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ aus Markus 9. So manches, was ich sah, erlebte und spürte konnte ich wirklich kaum glauben. Und nicht nur einmal war mein Gebet im letzten Jahr: „Hilf mir, Gott“.
Die Jahreslosung für dieses Jahr 2021 dürfen wir nicht vergessen. Ich glaube, die ist wichtig. Sie sollte uns leiten und führen durch jeden Tag dieses Jahres. Sie ist ein Jesuswort aus dem Lukas-Evangelium:
Es ist ein Satz mitten aus einer wichtigen Rede Jesu. Ganz ähnlich der bekannteren Bergpredigt im Matthäus-Evangelium. Er bringt auf den Punkt, worum es Gott eigentlich geht. Menschen die von dieser Welt geschlagen sind, die Schweres mit sich tragen, die schwach sind, die Brüche in ihrem Leben haben – die sollen einen Grund haben, glücklich zu sein. Selig, wie es in der Bibel heißt.
Martin Luther beschrieb diesen neuen Glauben so: „Ein solcher Mensch, der an Christus glaubt und ihn bekennt, daß wir allein durch ihn Vergebung der Sünden, ewiges Leben und Seligkeit erlangen aus lauter Gnade und Barmherzigkeit, ohne all unser Verdienst, gute Werke und Würdigkeit, der wird in der Welt wohl geplagt und zermartert; aber der Heilige Geist steht ihm bei, tröstet und stärkt ihn, gibt ihm ein freudiges Herz, das alles verachtet, und hilft ihm aus; denn er will uns nicht allein lassen.“
Nun kommen wir aus einem Jahr, dass in so unzähliger Weise zugeschlagen hat. In dem wir gemerkt haben, dass so vieles nicht so sicher ist, wie gedacht.
Wer von Kurzarbeit betroffen war, hat weniger Geld zur Verfügung.
Wer in Krankenpflege arbeitet, hatte noch viel mehr Herausforderungen, als ohnehin schon.
Wer Verantwortung in Politik, Wirtschaft und Kirche zu tragen hatte, musste ungewöhnliche Entscheidungen treffen und nicht selten dafür harte Kritik einstecken.
Besonders getroffen hat das Jahr auch unsere Kirche! Es ist ernüchternd, dass viele Menschen im Frühjahr gemerkt haben, dass man auch ohne Gottesdienste leben kann. Es hat sich ein ganz unterschiedliches Bild von Kirche entwickelt. Und auch, wenn das Internet erheblich christlicher geworden ist, so zeichnet sich noch nicht ab, welche Auswirkungen unsere Online-Präsenz wirklich hat. Auch unsere Gottesdienste sind, trotz Krise, nicht wirklich voller als sonst. Auch, wenn mancher es sich anders wünscht: ich glaube, unsere Kirche ist nicht systemrelevant. Das können wir auch gar nicht sein, weil wir nicht für das weltliche System existieren. Staat und Kirche sind aus gutem Grund getrennt. Denn nur wenn wir nicht systemrelevant sind, können wir die relevanten Systeme überleben. Gottes Botschaft ist nicht von uns und unseren Systemen abhängig. Nicht systemrelevant sein ist unsere Stärke!
Die Spaltung nicht nur unserer Gesellschaft, sondern aller Gesellschaften in der Welt, zeigt, wie unsicher unser Friede ist. Wie gefährdet die Freiheit in der wir leben. Wer Masken-Tragen als Freiheitsberaubung bezeichnet, der weiß schlicht nicht, wie Leben in vielen anderen Ländern dieser Welt war und ist. Angst- und Panikmache sind schlechte Berater. Sowas kommt nicht vom Herrn dieser Welt, Jesus Christus. Im Gegenteil, wer die Stimme Jesu hört, der weiß, dass nichts uns von der Liebe Gottes trennen kann.
Wir können die Vergangenheit nicht ändern. Aber durch die Barmherzigkeit Gottes, können wir die Zukunft verändern. Und die verändern wir, indem wir Gottes Wort mutig in das neue Jahr mitnehmen. Seine Warnung vor falschen Propheten, vor denen die uns in die Irre führen wollen. Sie sind letztes Jahr lauter geworden. Wir verändern unsere Zukunft, indem wir unter uns die Sehnsucht nach Frieden wach halten. Uns von dieser Sehnsucht in allem leiten lassen. Wir verändern die Zukunft, indem wir … ja… indem wir barmherzig werden. „Aus lauter Gnade und Barmherzigkeit, ohne all unser Verdienst“, schreibt Martin Luther dazu und beschreibt damit auch das Wort Barmherzigkeit.
In den kommenden Monaten werden wir uns in vielen Fragen um Barmherzigkeit drehen müssen. In ganz persönlichen Fragen: Werde ich mich impfen lassen? Und wie gehe ich mit denen um, die es nicht wollen? Und in gesellschaftlichen Fragen: Kann ich Entscheidungen aus Politik und Wirtschaft mittragen, auch wenn sie nicht meine persönliche Meinung sind?
Barmherzigkeit beginnt da, wo mein Tun, meine Nächstenliebe und mein Verständnis aufhört. Da setzt etwas ein, das von Gott selbst kommt. Ein mittragen auch derer, die mich ans Ende meiner Geduld bringen. Eine Liebe, auch für die, die meine Feinde sind. Respekt für jene, die nicht meiner Meinung sind. Mit Barmherzigkeit in Krisenzeiten zu gehen, erweitert meinen Blick. Gottes Barmherzigkeit verändert meine Haltung und damit auch meine Ausstrahlung. Darin liegt die Chance, wenn wir gemeinsam diese Jahreslosung nicht vergessen, sondern einander erinnern – in unserer Kirche.
Wir gehen nicht getrieben von Angst in das neue Jahr, sondern getragen von Glaube und Hoffnung.
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