Manes Sperber erzählt in seinem autobiographischen Buch „Die Wasserträger Gottes", wie sich die Bewohner seines Heimatortes Zlabotow in Galizien auf das Kommen des Messias einstellten. Vor allem erinnert er sich: in ihrer Kindheit übten sie sich regelmäßig darin, so lange wie möglich auf Händen zu stehen oder gehen. „Sie hatten nämlich gelernt, dass der Messias, wenn er kommt, die Welt auf den Kopf stellt. Das würde den Ungeübten viele Schwierigkeiten bereiten. Deshalb trainierten sie sich, wie sie es nannten, in der messianischen Gymnastik." - Kopfstand!
Interessant: Dass Jesus wiederkommt, dass Gott eine neue Welt aufrichten wird, ist unsere große Hoffnung und gleichzeitig unsere große Sprachlosigkeit. Was bedeutet diese Verheißung für mich?
Viel leichter kann ich darüber sprechen, was sie für mich nicht bedeutet:
Zuerst: sie ist nicht vorhersehbar. Johann Albrecht Bengel errechnete sie für 1837. Mitte des 19. Jahrhunderts meinten viele, dass Jesus wiederkommt, wenn alle Menschen auf der Erde sein Evangelium gehört haben. Daraus folgte eine riesige Missionsbewegung – auch nichts. Die Zeugen Jehovas meinten einst 1914. Gut erinnere ich mich an die Hamsterkäufe zur Jahrtausendwende! Und auch 2012 war es nicht, obwohl der Maya-Kalender sogar Filmemacher mit einer Vision vom Weltende inspiriert hat.
So einfach macht es uns Gott nicht.
Auch Revolutionen führen kein Gottesreich herbei. Auch wenn sich am 9. November 1989 das vielleicht manch einer gewünscht hat. Kein Gottesstaat, kein Krieg, auch der nicht, der im Namen oder in der Vereinnahmung des Namens Gottes geführt wurde oder wird, vermag es Gottes Gerechtigkeit umzusetzen. Wir Menschen können das einfach nicht.
Alles berechnen, alles interpretieren ist nichts wert. „Ihr wisst selbst ganz genau, dass der Tag des Herrn so unvorhergesehen kommt wie ein Dieb in der Nacht.", schreibt Paulus.
Nun, also, was bedeutet diese Verheißung für mich?
Der Gedanke, dass Gott diese Welt sprichwörtlich auf den Kopf stellen wird, lässt mich stutzen: Stellt er sie wirklich auf den Kopf oder wird er ihr helfen, wieder auf die Füße zu kommen? Es ist doch schon so viel verkehrt auf dieser Welt.
Dietrich Bonhoeffer sagte einmal: „Wir müssen bereit werden, uns von Gott unterbrechen zu lassen.“ Der Gedanke an Gottes neuer Welt ist für mich eine Unterbrechung.
Die Bilder von Gottes neuer Welt bedeuten mir viel. Die biblischen Bilder von dieser neuen Welt sind so stark, so beeindruckend, so schön, dass ich mir wünschte, es erleben zu können. Da liegen Schafe und Löwen beieinander. Liebe, Frieden, Gerechtigkeit. Kein Schmerz, kein Tod, kein Leiden. Gott wird meine Tränen abwischen. So fühlbar nahe wird er mir sein.
Ich lasse mich gerne davon unterbrechen. Diese Aussicht gibt mir eine Gelassenheit. Eine innere Ruhe besonders in stürmischen Zeiten. Weil ich weiß: was ich hier in meinem Leben erlebe, sind die vorletzten Dinge. Das wirklich Letzte kommt noch, steht noch aus.
Ich lasse mich auch deswegen gerne von den Bildern Gottes neuer Welt unterbrechen, weil ich mich dann selber fragen kann, was kann ich dafür tun, diese Welt etwas näher daran zu bringen. Die Antwort Jesus bringt mich darauf: „Denn schon jetzt, mitten unter euch, richtet Gott seine Herrschaft auf!“
Da ist schon etwas von Gottes Welt da. Nicht nur die Sehnsucht danach, sondern mehr. Wenn ich Jesus als den Sohn Gottes für mich annehmen kann, dann liegt die neue Welt gar nicht weit weg oder in ferner Zukunft, sondern sie liegt in mir. Mir in mein Herz gegeben, um über meinen Horizont hinaus zu schauen und von einer Weite zu leben, die über das mir bekannte hinausgeht.
Das Bild Gottes von der neuen Welt – eine Sportübung. Eine geistliche. Wenn ich Sport mache, unterbreche ich ja damit auch meinen Alltag. Als Gegensatz oder Ergänzung, die mir gut tut, dient mir der körperliche Sport genauso, wie der geistige Sport.
Diese geistliche Sportübung ist für mich nicht weniger eine Ergänzung zu meinem Leben in dieser Welt. Eine Übung, die mir gut tut. Gott erinnert mich daran, dass seine Welt in mir schon entsteht. Dass ich ihre Erfüllung erleben werde. Und dazwischen darf ich mein Leben leben. Nicht in der Angst vor dem Ende, sondern in der Freude auf den Neuanfang.